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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.11.2001
Aktenzeichen: 4 A 282/00
Rechtsgebiete: AuslG
Vorschriften:
AuslG § 51 Abs. 1 |
2. Vorverfolgte tschetschenische Volkszugehörige sind bei einer heutigen Rückkehr in die Russische Föderation landesweit nicht vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Az.: 4 A 282/00
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 4. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 2001 durch die Richterin am Verwaltungsgericht P. als Einzelrichterin für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 02.12.1999 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Russischen Föderation festzustellen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beitreibbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Tatbestand:
Die 1930 in A./Tschetschenien geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit moslemischen Glaubens. Sie reiste am 11.10.1999 mit dem Flugzeug aus Moskau kommend mittels eines gültigen Reisepasses und eines Schengenvisums in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 21.10.1999 einen Antrag auf Gewährung politischen Asyls. Diesen begründete sie im wesentlichen wie folgt:
Sie sei bereits 1944 mit ihren Eltern durch die Russen nach Kasachstan deportiert worden. Dort habe man ihr Volk (der Weinachen) ständig unterdrückt und schlecht behandelt. Vielen sei beispielsweise auch die Krankenbehandlung verweigert worden und sie seien verstorben. Sie habe auch ihre Eltern dort begraben müssen. Nach ihrer Heirat sei sie gemeinsam mit ihren Ehemann 1962 nach Grosny zurückgekehrt. Auch dort hätte ihr Volk über lange Jahre eine diskriminierende Behandlung erfahren müssen. So hätten sie beispielsweise ihre Religion nicht öffentlich ausüben dürfen, einige der Traditionen seien strafrechtlich verfolgt worden. Außerdem sei das ganze Volk "russifiziert" worden. Schon während des ersten Tschetschenienkrieges zwischen 1994 und 1996 habe sie viel Schreckliches erleben müssen. So sei auch in dieser Zeit ihr Sohn in der Ortschaft Bamut getötet worden. Sie selbst habe mit ansehen müssen, wie Häuser geplündert, junge Mädchen verschleppt und Menschen misshandelt worden seien. Auch zu ihr seien die Russen gekommen und hätten ihr sämtliche Wertsachen, die sie während ihres Lebens angesammelt habe, weggenommen. Nach dem Tod ihres Sohnes sei sie zu ihrer noch einzig dort lebenden Verwandten - der Tochter ihrer Schwester - gezogen, die ihr Unterstützung und Unterkunft gegeben habe. Ihr Ehemann sei schon vor langer Zeit verstorben, die Tochter habe das Land verlassen. Sie selbst habe noch Hoffnung auf Besserung der Lage gehabt und habe nicht ein zweites Mal ihre Heimat verlassen wollen. Nachdem kurz nach ihrer Ausreise erneut die Bombardierungen durch die Russen begonnen hätten, sei auch das Haus ihrer Nichte beschossen worden. Ihre Nichte sei bei diesem Angriff ums Leben gekommen. In Grosny sei damals die Hölle losgewesen. An jeder Ecke sei geschossen worden, alle Menschen hätten versucht, zu fliehen aus Angst vor weiteren Übergriffen der russischen Soldaten. Sie habe dann eine Gruppe von jungen Leuten bei dieser Flucht getroffen, die sich ihrer angenommen und sie außer Landes gebracht hätten. Diese hätten ihr dann auch ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland und Geld für die Ausreise mit dem Flugzeug von Moskau besorgt. Sie habe es als einzigen Ausweg angesehen, zu ihrer hier in Deutschland lebenden Tochter zu fliehen.
Mit Bescheid vom 02. Dezember 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Gleichzeitig setzte es eine Ausreisefrist und drohte die Abschiebung an. Hiergegen ist rechtzeitig Klage erhoben worden.
Zur weiteren Begründung ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei vorverfolgt aus ihrem Heimatland ausgereist. Von Seiten der russischen Regierung sei ein Vernichtungskrieg gegen ihr Volk geführt worden, der sie in eine ausweglose Lage gebracht habe. Es sei ihr nicht möglich gewesen, in andere Teile der Russischen Föderation zu fliehen, da auch dort der Aufenthalt und die Lebensumstände für tschetschenische Volkszugehörige derartig verschärft worden seien, dass ein Aufenthalt dort nicht möglich gewesen sei. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation sei sie auch heute nicht mit hinreichender Sicherheit vor erneuter Verfolgung sicher.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid des Bundesamtes vom 02.12.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen,
2. die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen sowie festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
Der Bundesbeauftragte hat sich zur Sache nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.
Die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch zu ihren Asylgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf die Verhandlungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit der Einzelrichterin gemäß § 76 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz zur Entscheidung übertragen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Ablehnung des Asylantrages ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Sie hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes.
Nach Art. 16 a Abs. 1 GG werden Ausländer als Asylberechtigte anerkannt, wenn sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, und deswegen den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen bzw. nicht in dieses Land zurückkehren können oder wollen.
Die Voraussetzungen von Art. 16 a Abs. 2 oder 3 GG, wonach die Anerkennung als Asylberechtigter ausgeschlossen ist, liegen nicht vor, da die Klägerin weder aus einem sicheren Drittstaat noch aus einem sicheren Herkunftsland kommt. Daher sind die allgemeinen Grundsätze für die Gewährung politischen Asyls maßgeblich.
Zweifel an der von der Klägerin vorgetragenen Luftwegeinreise mit einem Flugzeug aus Moskau nach Hamburg haben sich in keinster Weise für das Gericht ergeben. Auch die Beklagte selbst hat diesbezüglich keinerlei Zweifel geäußert und ist in dem angefochtenen Bescheid von der Luftwegeinreise selbst ausgegangen.
Das Asylrecht bietet Schutz vor der Verfolgung durch die Staatsgewalt, die dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Eine gezielte Rechtsverletzung in diesem Sinne liegt nicht vor bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatort zu erleiden hat wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen. "Politisch" ist eine Verfolgung nur dann, wenn sie an ein asylerhebliches Merkmal anknüpft. Dies ist anhand der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst, nicht subjektiv anhand der Motive des Verfolgers zu beurteilen. Die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als - ausgrenzende - Verfolgung darstellt. Das somit erforderliche Maß der Intensität ist nicht abstrakt vorgegeben, es muss vielmehr der humanitären Intention entnommen werden, die das Asylrecht prägt, nämlich demjenigen Aufnahme und Schutz zu gewähren, der sich in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (BVerfGE 80, 315, 335).
Auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung können asylrechtsbegründend sein, es sei denn, sie dienen ausschließlich der Abwehr des Terrorismus und bedrohen den Betroffenen nicht härter als dies sonst bei der Verfolgung ähnlicher, nicht politischer Straftaten der Fall ist (BVerfGE 80, 315, 336 ff.; 81, 142, 149 ff.).
Maßgebend dafür, ob die befürchtete Verfolgung eine politische ist, sind die Gründe, aus denen der Verfolgerstaat die vom Asylsuchenden befürchtete Verfolgung betreibt. Nicht erforderlich ist also, dass der Asylsuchende die vom Verfolgerstaat angenommene Überzeugung tatsächlich besitzt.
Stellt eine Person, die bereits einmal politische Verfolgung erlitten hat, einen Asylantrag, so hängt die Asylgewährung davon ab, dass nach dem gewonnenen Erkenntnisstand an einer Sicherheit vor erneut einsetzender Verfolgung auch nur ernsthafte Zweifel bestehen.
Hat der Asylbewerber zuvor noch keine politische Verfolgung erlitten, so ist darauf abzustellen, ob ihm im Fall der Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit droht (BVerfGE 80, 315, 334; BVerwGE 70, 169 ff., BVerwG InfAuslR 1988, 194, 196).
Für die Frage, welche Anforderungen an den Nachweis asylbegründender Tatsachen zu stellen sind, ist es grundsätzlich nicht entscheidend, ob die jeweilige Tatsache vor oder nach dem Verlassen des Heimatstaates eingetreten ist. Grundsätzlich ist der volle Nachweis zu fordern. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylbewerber insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt jedoch für diese Vorgänge in der Regel Glaubhaftmachung. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben sein soll. "Glaubhaftmachung" besagt nur, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Das gilt auch hinsichtlich der zu treffenden Prognose, ob aufgrund des im vorstehenden Sinn glaubhaften individuellen Schicksals des Asylsuchenden die Gefahr politischer Verfolgung droht bzw. die Gefahr einer Verfolgungswiederholung nicht auszuschließen ist. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrenbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein "voller Beweis" nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner gewonnenen Prognose politischer Verfolgung die "volle richterliche Überzeugung" erlangt haben muss (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985, BVerwGE 71, 180 f. = NVwZ 1985 S. 658).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin ihr Heimatland vorverfolgt verlassen (1). Ihr stand zum Zeitpunkt ihrer Flucht keine inländische Fluchtalternative offen (2). Die Klägerin ist bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit vor dem Einsetzen erneuter Verfolgung sicher (3).
1.
a) Das Gericht legt seiner rechtlichen Bewertung den von der Klägerin geschilderten fluchtauslösenden Sachverhalt als vollkommen glaubhaft zugrunde. Zweifel an den Darstellungen der Klägerin haben sich für das Gericht nicht ergeben. Solche bestehen auch nicht im Bezug auf die Herkunft und die tschetschenische Volkszugehörigkeit der Klägerin. Sowohl die Sprache als auch die Schilderungen der gesamten Lebensumstände in ihrem Heimatland lassen zur vollständigen Überzeugung des Gerichtes den Schluss darauf zu, dass es sich bei der Klägerin um eine aus Grosny stammende tschetschenische Volkszugehörige moslemischen Glaubens handelt. Auch die Geschehnisse in unmittelbarem Zusammenhang mit der Flucht aus ihrem Heimatland hat die Klägerin insoweit in vollständiger Übereinstimmung mit der dem Gericht vorliegenden Erkenntnislage - die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde - geschildert (vgl. dazu im folgenden).
b) Unter Zugrundelegung dieses Sachverhaltes ist die Klägerin vorverfolgt aus der Russischen Föderation ausgereist. Als vorverfolgt gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesverwaltungsgerichtes, wer seinen Heimatstaat entweder vor eingetretener oder vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat (BVerfGE 54, 341; 80, 315; BVerwGE 85, 139; 87, 52).
Auch wenn die Klägerin vor ihrer Ausreise politische Verfolgung in ihrer eigenen Person nicht erlitten hat, drohte sie ihr unmittelbar. Unter einer eine Vorverfolgung begründenden unmittelbar drohenden Verfolgung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes eine bei der Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung zu verstehen (BVerwG, Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45/92 -, DVBl. 1994, 524 m.w.N.). Als vorverfolgt gilt danach auch derjenige, dem bei der Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, was stets dann anzunehmen ist, wenn bei "qualifizierender" Betrachtungsweise die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, Urteil vom 14.12.1993, a.a.O.). Die bei Anwendung dieses Maßstabs gebotene "qualifizierende" Betrachtungsweise bezieht sich dabei nicht nur auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht (BVerwG, Urteil vom 14.12.1993, a.a.O.).
Unter Anwendung dieses Maßstabs drohte der Klägerin vor Verlassen ihres Heimatlandes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung seitens des russischen Staates in Anknüpfung an ihre tschetschenische Volkszugehörigkeit. Diese Gefährdungslage wurde verwirklicht durch den Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien in dem hier maßgeblichen Zeitraum und die hierauf folgenden, gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung gerichteten asylrechtsrelevanten Übergriffe. Diese - auch für die Klägerin unmittelbar drohende - Gefährdungslage lässt sich, wie die folgenden Ausführungen zeigen - aus der Zahl der Fälle stattgefundener und stattfindender politischer Verfolgung entnehmen.
Asylerhebliche Gefährdungslagen können auch im Übergangsbereich zwischen anlassgeprägter Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung vorliegen. Diese Gefährdungslagen dürfen nicht in einer den Gewährleistungsinhalt des Grundrechtes des Art. 16 a Abs. 1 GG verkürzenden Weise unberücksichtigt bleiben (BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216-238). Solchen tatsächlichen Gefährdungslagen in diesem Übergangsbereich ist im Rahmen der Prüfung der Frage Rechnung zu tragen, ob ein Asylsuchender begründete Furcht vor politischer Verfolgung hegt, weil es ihm nach verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Bei der gebotenen objektiven Beurteilung dieser Frage können grundsätzlich auch Referenzfälle stattgefundener und stattfindener politischer Verfolgung sowie ein Klima allgemeiner moralischer, religiöser und gesellschaftlicher Verachtung begründete Verfolgungsfurcht bei einem Asylbewerber entstehen lassen, so dass es ihm nicht zuzumuten ist, in seinen Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Allerdings müssen die für eine Verfolgung sprechenden Umstände nach ihrer Intensität und Häufigkeit von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus für den Asylbewerber bei objektiver Betrachtung die begründete Furcht ableiten lässt, selbst Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden (BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 - 9 C 154/90 -, BVerwGE 88, 367-380). Diese im Wege einer Gesamtbetrachtung vorzunehmende Beurteilung setzt mithin die Feststellung eines konkreten und individuellen Lebenssachverhaltes voraus (Thür. OVG, Urteil vom 29.03.2001 - 3 KO 827/98 - m.w.N.).
Die allgemeine Situation zum Zeitpunkt der Flucht der Klägerin aus ihrem Heimatland stellte sich wie folgt dar:
Nach dem ersten Tschetschenien-Krieg 1994 bis 1996, der mehr als 80.000 Menschen das Leben kostete, begann für Tschetschenien eine Phase der zunehmenden Destabilisierung. Bekämpft durch die Machtansprüche verschiedener Clans und deren militärischer Führer, die - im Krieg noch gegen den gemeinsamen Feind Russland geeint - nunmehr die ländlichen Regionen beherrschten, gelang es dem 1997 gewählten Präsidenten Maschadow nicht, aufkommendes Chaos in dem kriegsgebeutelten Land zu verhindern. Raub, Geiselnahmen, Drogenhandel und Überfälle waren an der Tagesordnung und Haupteinnahmequellen diverser miteinander um die Macht streitender Gruppierungen. Weiterhin wurde die allgemeine innenpolitische Situation stark durch die ungelöste Statusfrage Tschetscheniens ("Itschkerien") belastet. Diese Statusfrage war im Vertrag von Chasawjurt bis zum Jahr 2001 vertagt worden. In Chasawjurt (Dagestan) schlossen am 25.08.1996 der damalige tschetschenische Premier Maschadow und der russische Stabschef General Lebed ein Waffenstillstandsabkommen (BAFL, Russische Föderation - Nordkaukasus, ethnische Gruppen, Nationalitätenkonflikte, Konfliktpotentiale - Stand September 1998). Auch im sogenannten Friedensvertrag von Mai 1997 blieb die Statusfrage ungelöst, so dass infolge dessen auch die Lösung bilateraler Wirtschaftsprobleme ausblieb. In diesem Klima von massiver Kriminalität und Gesetzlosigkeit sahen sich auch die meisten ausländischen Hilfsorganisationen zur Einstellung ihres Engagements in dieser Region gezwungen. Ebenso, wie der bei den Präsidentschaftswahlen im Januar 1997 siegreiche Präsident Maschadow seinen politischen Widersachern, insbesondere dem Widerstandskämpfer Bassajew und dem Anführer der islamischen freiwilligen Verbände aus dem Nahen Osten, Chattab, wenig entgegenzusetzen hatte, zeigte er sich in der Frage der zunehmenden islamischen Radikalisierung hilflos. Unter dem Druck seiner Gegner akzeptierte er eine neue Verfassung, die auf dem islamischen Recht, der Scharia, beruhte.
Im Frühjahr 1999 begannen tschetschenische Milizen mit Überfällen auf die umliegenden russischen Gebiete (zum vorstehenden BAFL, Informationszentrum Asyl, Russische Föderation - der Tschetschenienkonflikt - September 2001). In dieser Lage begann Moskau nunmehr endgültig, seine Haltung gegenüber Tschetschenien zu verschärfen. Schon lange war in bestimmten Kreisen der Russischen Regierung ein zweiter Krieg gegen Tschetschenien nicht mehr ausgeschlossen worden. Als Antwort auf die Überfälle von tschetschenischer Seite begann Russland damit, tschetschenische Stellungen mit Kampfhubschraubern zu bombardieren (FAZ, 19.06.1999). Innenminister Roschailo ordnete "Präventivschläge" gegen Stützpunkte tschetschenischer Rebellen an (SZ, 05.07.1999). Entlang der "gefährlichsten Grenze Russlands" (FR, 06.07.1999) kam es zu anhaltenden Grenzgefechten. Nach der Verhaftung des tschetschenischen Ministers für Innere Sicherheit, Atgerijew, auf dem Moskauer Flughafen verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Grosny und Moskau dramatisch. Dieser war nach tschetschenischen Angaben nach Moskau gereist, um ein Treffen zwischen Präsident Jelzin und Maschadow vorzubereiten (SZ, 20.07.1999).
Anfang August 1999 drangen radikal-islamische Freiwilligenverbände unter Führung von Bassajew und Chattab in das benachbarte Dagestan ein mit dem Ziel, dort einen islamischen Staat auszurufen (FR, 11.08.1999, SZ, 10.08.1999). Moskau reagierte mit vermehrten Luft- und Artillerieangriffen. Der designierte Ministerpräsident Putin erklärte die völlige Vernichtung der Rebellen zum Ziel und schloss dabei auch einen Einsatz in Tschetschenien selbst nicht aus (FAZ, 14.08.1999). In der Folgezeit ging Moskau mit zunehmender Härte mit Luft- und Artillerieangriffen sowohl gegen die in Dagestan weiter vorrückenden islamischen Freischärler als auch gegen vermutete Rebellenstützpunkte in Tschetschenien vor. Nach mehreren Bombenattentaten in einem Moskauer Einkaufszentrum und einem Wohnhaus sowie in einem Wohnhaus russischer Offiziere in Dagestan mit insgesamt mehreren hundert Toten, die von russischer Seite sofort islamischen Rebellen aus dem Kaukasus zugeschrieben wurden, setzten sich russische Militärangriffe auf Tschetschenien verstärkt fort. Die Suche nach den Urhebern der Bombenattentate in Russland führte zu einer neuen, heftigen Welle der Fremdenfeindlichkeit, infolge derer in Moskau Hunderte von Tschetschenen willkürlich verhaftet wurden. Bei Kontrollen wurden rigoros Personen mit südländischem Aussehen von der Polizei festgehalten (NZZ, 18.09.1999). Mit dem Einsatz russischer Bodentruppen in Tschetschenien und der Fortdauer massiver Luftangriffe auf Tschetschenien setzte eine Massenflucht der tschetschenischen Zivilbevölkerung in die Nachbarrepublik Inguschetien ein. Dabei erschwerten russische Militärs den Tschetschenen die Flucht dorthin, es wurden nur Frauen und Kindern die Flucht dorthin zu Fuß gestattet (SZ, 29.09.1999). Gleichzeitig verschärfte sich auch die Lage für Flüchtlinge aus dem Kaukasus in der übrigen Russischen Föderation. Aus Moskau wurde über ethnische Säuberungsaktionen, Massendeportationen, willkürliche Verhaftungen und massiver Einsatz von Schlagstöcken gegen vermeintlich verdächtige Kaukasier berichtet (Der Spiegel, 04.10.1999). Der mit zunehmender Härte und Brutalität geführte Militäreinsatz in Tschetschenien richtete sich mehr und mehr gegen die Zivilbevölkerung. Die russische Führung lehnte nicht nur Gespräche mit den Rebellen ab, zugleich stoppte sie die Gaslieferungen und kündigte an, die Stromlieferungen in die Kaukasusrepublik zu kappen (FR, 05.10.1999). Deutlich wurde das von Putin proklamierte Endziel der völligen Vernichtung der Terroristen nicht nur durch die Ablehnung einer internationalen Vermittlung im Tschetschenienkonflikt (dpa, 08.10.1999), auch legten immer mehr Indizien den Verdacht nahe, dass Moskauer Politiker die Vorwände für den Einmarsch in Tschetschenien selber geschaffen haben könnten (FR, 25.10.1999). Dieses und der zunehmende Einsatz von Gewalt auch gegenüber der Zivilbevölkerung, der deutlich von der EU und von den USA als menschenrechtswidrig verurteilt wurde (dpa, 27.10.1999; SZ, 10.11.1999), ließen ein über die Terrorismusbekämpfung hinausgehendes Ziel der vollständigen Zerstörung Tschetscheniens erkennen. Im Oktober 1999 riegelte Moskau die Grenze zu Inguschetien ab, eine Fluchtmöglichkeit für die Zivilbevölkerung bestand nicht mehr (NZZ, 25.10.1999). Das russische Militär schreckte nicht davor zurück, auch Flüchtlingskonvois zu bombardieren (FR, 04.12.1999).
Nach einer fortdauernden heftigen Bombardierung Grosnys und der militärischen Einnahme großer Teile Tschetschenien durch die russischen Truppen erfolgte Anfang Dezember 1999 ein Ultimatum Russlands an die Bewohner Grosnys. Wer danach bis Samstag die Stadt nicht verlassen habe, werde als Terrorist betrachtet und vernichtet (SZ, 07.12.1999). Damit saßen 35.000 Zivilisten in Grosnys Kellern in einer tödlichen Falle, entweder unter dem Bombenhagel russischer Luftangriffe die Stadt zu verlassen oder der Erstürmung der Stadt zum Opfer zu fallen (Nürnberger Nachrichten, 22.12.1999). Nach Beginn der russischen Großoffensive auf Grosny gaben die Rebellen den wochenlangen Widerstand auf und zogen sich aus der tschetschenischen Hauptstadt zurück (SZ, 02.02.2000). Nach dem (weitgehendsten) Ende der Kämpfe in Grosny häuften sich Berichte von Augenzeugen und Menschenrechtsgruppen über russische Gräueltaten an der Zivilbevölkerung in der Hauptstadt. Die New Yorker Organisation human rights watch teilte mit, sie habe in einem Zeitraum von einem Monat acht Fälle dokumentiert, bei denen 22 Zivilisten von russischer Seite getötet worden seien (NZZ, 08.02.2000). Der alles ruinierenden "Befreiung" von der Gewaltherrschaft islamischer Freischärler folgten - von der russischen Armeeführung immer wieder bestrittene - Gräueltaten russischer Söldner, die plündernd und wegelagernd durch Tschetschenien zogen: Diebstahl, Vergewaltigungen, psychische und physische Folter, Erschießungen und feige Morde waren ebenso an der Tagesordnung wie vorher (Die Zeit, 10.02.2000). Spezialeinheiten des russischen Innenministeriums fingen an, "Säuberungen" in ganz Grosny vorzunehmen. Viele aufgefundene Verletzte wurden einfach erschossen, Gefangene in die eingerichteten "Filtrationslager" gebracht, die das russische Militär in Tschetschenien aufgebaut hatte. Augenzeugenberichten zufolge wurden dort viele Gefangene unter dem Vorwand, die Rebellen unter der Bevölkerung "herauszufiltern", grausam misshandelt und gefoltert (Die Welt, 11.02.2000; FR, 11.02.2000).
Nach Einnahme Grosnys am 06.02.2000 und der letzten Rebellenhochburg Schatoi am 29.02.2000 hat sich die Lage von einem offenen militärischen Konflikt zu einem beiderseitig mit brutaler Härte geführten Partisanenkrieg gewandelt. Feuerüberfällen, Bomben- und Minenattentaten der tschetschenischen Seite auf mit Moskau kooperierende Tschetschenen steht eine blutige Spur von Terror und Gewalt der russischen Armee gegen die Zivilbevölkerung gegenüber. Russlands Soldaten morden, foltern und plündern in Tschetschenien, unterstützt von Spezialeinheiten des Innenministeriums (Süddeutsche Zeitung, 10.10.2000). Unter dem Deckmantel der "Terrorismusbekämpfung" werden teilweise ganze Dörfer durch russische Einheiten überfallen, die Bewohner willkürlich festgenommen und misshandelt, mit dem Einsatz von Granaten, die in Keller und Dachböden geworfen werden, werden "Säuberungen" durchgeführt (FAZ, 07.07.2001; NZZ, 10.07.2001). Der von Präsident Putin am 18.01.2001 angekündigte (weitgehendste) Abzug von russischen Truppen aus Tschetschenien wurde im Mai 2001 wieder abgebrochen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Russische Föderation, 28.08.2001). Moskau behindert dabei gezielt eine unabhängige Berichterstattung aus Tschetschenien, Korrespondenten können die Kaukasusrepublik im Regelfall nur unter Aufsicht russischer Offiziere bereisen und ein von Moskau festgesetztes Programm absolvieren (BAFl, Informationszentrum Asyl, der Tschetschenienkonflikt, September 2001). UNHCR liegen zahlreiche Berichte über ernsthafte Menschenrechtsverletzungen innerhalb dieser Region vor. Danach ist die Zivilbevölkerung betroffen von Folter, Misshandlungen, Geiselnahmen und Hinrichtungen. Unbestritten ist das weitere Bestehen sogenannter "Filtrationslager" wie auch sonstiger teils provisorischer und geheimer Hafteinrichtungen, das extralegale Festhalten von Personen an diesen Orten, die dort eingesetzten Praktiken von Folter und Misshandlungen sowie das "Verschwindenlassen". Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat in ihrer Resolution 2001/24 vom 20. April 2001 das Fortbestehen solcher Einrichtungen und die Grausamkeit der darin angewandten Methoden ausdrücklich verurteilt (amnesty international, Stellungnahme zum ad hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes vom 24. April 2001 vom 08.10.2001). Im Frühjahr 2001 wurden mehrere Massengräber (Sdorowje und Chankala bei Grosny) in Tschetschenien entdeckt. In ihnen wurden nach Angaben russischer Menschenrechtler tschetschenische Zivilisten aufgefunden, die eindeutige Zeichen von Misshandlungen und Folter aufwiesen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Russische Föderation, 28.08.2001). Zehntausende von Menschen, darunter auch Kinder, sollen zwischenzeitlich festgenommen, zu Tode gefoltert oder in Filtrationslagern bzw. tiefe Erdlöcher gesteckt worden sein. 18.000 Menschen gelten nach ihrer Festnahme als vermisst (IGFM-Bericht, Tschetschenien 2001, Mai 2001).
Unter Berücksichtigung an dieser Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei ihrer Flucht aus Tschetschenien Ende September/Anfang Oktober 1999 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung bedroht war. Durch den der andauernden heftigen Bombardierung Grosnys und weiterer tschetschenischer Orte folgenden Einmarsch russischer Bodentruppen stand unmittelbar die Gefahr bevor, in Anknüpfung an die tschetschenische Volkszugehörigkeit menschenrechtswidrigen Übergriffen wie Misshandlungen, Vergewaltigungen, Verschleppungen und extralegalen Tötungen unterworfen zu werden. Diese Übergriffe fanden - wie oben dargestellt - nicht nur gegenüber vermuteten tschetschenischen Rebellen, sondern in zunehmender Weise auch gegenüber der allgemeinen Zivilbevölkerung statt. Die unmittelbare individuelle Gefährdung für die Klägerin ist auch durch die Bombardierung des Hauses ihrer Nichte und deren Tod, dem die Klägerin selbst nur knapp entronnen war, eingetreten. Durch diese Umstände ist die Klägerin in eine vollkommen hilf- und schutzlose Lage geraten, die es ihr unmöglich machte, ohne Verwandte und Unterkunft sich vor den drohenden Gefahren weiterer Bombardierungen und Übergriffen der einrückenden Soldaten zu schützen.
Angesichts dieser Gefahrenlage war es der Klägerin nicht zuzumuten, mit der Flucht weiter zuzuwarten. Vielmehr war eine allgemeine Gefährdungslage eingetreten, die den Eintritt der befürchteten Verfolgung jederzeit wahrscheinlich gemacht hat.
2.
Der Klägerin stand zum Zeitpunkt ihrer Flucht auch mit den übrigen Gebieten der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
Bei Bestehen einer regionalen Verfolgung ist nur derjenige asylberechtigt, der in seinem Heimatstaat keine innerstaatliche Fluchtalternative hat. Des subsidiären asyl- und abschieberechtlichen Schutzes in Deutschland bedarf nämlich grundsätzlich nur der, dem auf dem Territorium seines Heimatstaates eine verfolgungsfreie Zuflucht nicht offen steht. Dies gilt namentlich dann, wenn der vor einer regionalen Verfolgung fliehende Ausländer in anderen Teilen seines Heimatstaats vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und wenn ihm am Ort einer solchen inländischen Fluchtalternative keine sonstigen unzumutbaren Gefahren und Nachteile drohen (BVerwG, Urteil vom 08.12.1998 - 9 C 17/98 -, BVerwGE 108, 84 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 09.09.1997 - 9 C 43.96 -, BVerwGE 105, 204). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Sicherheit vor Verfolgung am Ort der inländischen Fluchtalternative durch eine (andere) staatliche oder staatsähnliche Gewalt gewährleistet oder vermittelt wird und ob dort eine (andere) staatliche oder staatsähnliche Friedensordnung überhaupt existiert (BVerwG, Urteil vom 08.12.1998, aaO).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist für den hier fraglichen Zeitraum nicht davon auszugehen, dass die Klägerin in anderen Teilen ihres Heimatstaates - der Russischen Föderation - vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher war und ihr im übrigen Gebiet der Russischen Föderation keine sonstigen unzumutbaren Gefahren und Nachteile drohten. Diese Bewertung folgt aus folgender Auskunftslage:
Die Situation der in die Russische Föderation geflohenen Tschetschenen stellt sich wie folgt dar:
Ein legaler Aufenthalt im Gebiet der Russischen Föderation wird Tschetschenen erschwert, wenn nicht gar unterbunden. Die russische Bürokratie benutzt nämlich mittlerweile das Registrierungswesen als Hauptinstrument, um Tschetschenen an einer Durchsetzung des in der Verfassung und gesetzlich garantierten Rechts auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes zu hindern. In dem Gesetz "Über das Recht der Bürger auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes innerhalb der Russischen Föderation" vom 25.06.1993 sind zwei Arten der Registrierung vorgesehen: nämlich die Registrierung am Wohnort und die Registrierung am vorübergehenden Aufenthaltsort (Meldung bei der Milizbehörde, falls der Besuchsaufenthalt an einem Ort 10 Tage überschreitet). Weitere Vorschriften zur Umsetzung dieses Gesetzes, die insbesondere in verschiedenen Regierungsverordnungen und Befehlen des Innenministeriums enthalten sind, schränken durch mitunter unerfüllbare Vorschriften das Recht auf Freizügigkeit und freie Wohnsitznahme deutlich ein. Dies wird in einigen Gebieten noch durch zusätzliche eigene Verordnungen der Regierungsorgane der verschiedenen Staatssubjekte (Autonome Republiken, Regionen, Kreise und Gebiete) verschärft, wie z.B. durch die Forderung, dass nahe Angehörige vorhanden sein müssen, dass eine Wohnung nachgewiesen werden muss mit gleichzeitigem Verbot, ein Eigenheim zu erwerben, dass hohe Sondergebühren zu zahlen sind oder der Nachweis einer Arbeitsstelle bei gleichzeitigem Arbeitsverbot für Personen ohne Registrierung verlangt wird. Teilweise gibt es unmittelbar gegen Tschetschenen gerichtete ressortinterne Anweisungen. Bereits ein Jahr vor Beginn des ersten Tschetschenienkrieges (Dezember 1994) ordnete der Föderale Migrationsdienst Russlands an, dass Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit nicht als Flüchtlinge bzw. Vertriebene registriert werden durften, sondern nur statistisch erfasst werden sollten. Diese Verordnung ist nach wie vor in Kraft und ist das maßgebliche Hindernis für Tschetschenen, außerhalb Tschetscheniens und der Flüchtlingslager Inguschetiens in einem anderen Ort des Riesenreichs Russland eine Bleibe zu finden ohne die Gefahr zu laufen, von der Miliz verhaftet oder aus dem Ort gejagt zu werden, weil sie keine Registrierung haben und somit gegen das "Passregime" verstoßen. Das zweite und wohl ausschlaggebende Instrument ist der interne Befehl des Innenministers vom 17.09.1999 "über Maßnahmen zur Beseitigung von Möglichkeiten der Durchführung von Terroranschlägen auf dem Territorium der Russischen Föderation", wonach für Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit auf dem Territorium der Russischen Föderation harte Lebens- und Arbeitsbedingungen eingeführt werden, die polizeiliche Anmeldung der Tschetschenen in Moskau und anderen Städten Russland eingeschränkt und nach Möglichkeit eingestellt werden soll, regelmäßige Kontrollen in Wohnstätten von Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit durchzuführen sind, die Zulassung von Firmen und Geschäften, an denen Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit und andere Personen, die aus Tschetschenien stammen, beteiligt sind, unter besonderer Aufsichtskontrolle zu nehmen, finanzielle Prüfungen in Firmen, an denen Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit und andere Personen, die aus Tschetschenien stammen beteiligt sind, durchzuführen und gleichzeitig die Konten dieser Firmen zu sperren sind, um eine mögliche Finanzierung von tschetschenischen Bandenformationen durch sie zu unterbinden; außerdem sollte die Möglichkeit den Wohnort zu verlassen für Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit und die Ausstellung von Reisevisa und Reisepässen an diese Personen eingeschränkt werden und wurde angeordnet die Tschetschenen festzunehmen und zur vollständigen Klärung ihrer Person und Tätigkeit auf die Reviere des Inland einzuliefern. Demzufolge berichten russische Bürgerrechtsorganisationen, dass die russische Miliz außerhalb Tschetscheniens unter dem Vorwand einer "Ausweiskontrolle" gezielt die Tschetschenen verfolgt und sich dabei oft militanter nationalistischer Gruppen bedient. Die Verweigerung einer Registrierung führt dazu, dass weder eine Wohnung gekauft noch gemietet werden kann. Angesichts der anti-tschetschenischen Hetze wird es für Tschetschenen zunehmend schwerer, in der Anonymität von Großstädten illegal eine Bleibe zu finden. Wer sich den Maßnahmen der Behörden und den Aufforderungen, aus dem Ort zu verschwinden, widersetzt, läuft die Gefahr, durch Unbekannte überfallen oder deportiert zu werden, oder aber verhaftet zu werden und wegen Rauschgift- oder Waffenbesitzes angeklagt zu werden. Das Unterschieben eines Rauschgiftpäckchens oder einer Patrone durch Milizbeamte gehört nach diesen Berichten bereits zur Regel. Deswegen verlässt ein Tschetschene seine Wohnung nur in Kleidung, in der er zuvor alle Taschen zugenäht hat. Ohne Registrierung ist die Aufnahme legaler Arbeit nicht möglich. Seit 1999 ist die Zahl in Russland ansässiger Tschetschenen gewachsen, die ihre Arbeitsstelle verloren haben. In Moskau hat die Kultusverwaltung im September 1999 eine Anordnung erlassen, die als Grundlage für die Entlassung Lehrpersonals tschetschenischer Herkunft dient. Auch die medizinische Versorgung wird wegen der Volkszugehörigkeit verweigert. Eine staatliche Unterstützung wird nicht gewährt. Es bestehen keine realistischen Chancen, den Anspruch auf Wohnung, Arbeit, medizinische Versorgung oder staatliche Unterstützung bei ungerechtfertigter Verweigerung durchzusetzen (IGFM, Auskunft vom 20.12.2000 an das VG Schleswig; Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 24.04.2001; amnesty international, Auskunft vom 12.01.2001 an das VG Ansbach). Das russische Verfassungsgericht hat mehrfach entschieden, dass die Registrierungspraxis verfassungswidrig sei. Allerdings halten insbesondere die größeren Städte, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Entwicklung die Möglichkeit bieten, eine Existenz aufzubauen, an der Forderung nach einer Registrierung fest. Amnesty international hat in einer Stellungnahme an die Europäische Union die Besorgnis geäußert, dass durch die Verbindung einer anti-tschetschenischen Feindseligkeit in der russischen Gesellschaft mit offiziellen Erklärungen russischer Politiker und Handlungsweisen der Sicherheitskräfte eine Situation entstanden ist, in der tschetschenische Volkszugehörige praktisch den Status einer ethnischen Gruppe erhalten haben, die außerhalb des Schutzes durch das Gesetz steht und Opfer von Verfolgung, Erpressung und staatlicher Willkür wird (amnesty international aaO; Ammann, Schweizerische Flüchtlingshilfe, die aktuelle Situation in Tschetschenien, Januar 2001). Aus Moskau und anderen russischen Großstädten wird berichtet, dass im Rahmen sogenannter Anti-Terror-Operationen Tschetschenen und andere Personen aus dem Kaukasus durch Polizeioperationen Opfer willkürlicher Festnahmen und Misshandlungen werden. Belastendes Beweismaterial wie Drogen und Waffen wird den Festgenommenen untergeschoben. Es wird von Fällen berichtet, in denen Folter angewendet wurde, um Geständnisse zu erpressen. Ende August 2000 berichtete die Zeitung Nowije Iswestija, dass Polizeibeamte angehalten werden, am Dienstende darüber Bericht zu erstatten, wie viele Tschetschenen, Georgier und Aseris von ihnen festgenommen wurden. Diese Praxis der Polizei soll durch einen Moskauer Polizeisprecher Anfang September 2000 bestätigt worden sein (ai, Stellungnahme zum ad hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes, 08.10.2001). Danach ist davon auszugehen, dass tschetschenische Volkszugehörige und Abkömmlinge und Angehörige tschetschenischer Volkszugehöriger, die aus Tschetschenien stammen, sowohl zur Zeit der Ausreise der Klägerin als auch bei einer heutigen Rückkehr in die Russische Föderation keine realistischen Möglichkeiten hatten und haben, außerhalb von Tschetschenien eine legale Existenz zu führen.
Nach Angaben von UNHCR befanden sich zu Beginn des Jahres 2001 immer noch rund 158.000 Flüchtlinge aus Tschetschenien in Flüchtlingslagern in Inguschetien. Dort herrschen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen katastrophale Zustände: zahlreiche Krankheiten sind ausgebrochen, es fehlen Nahrungsmittel, Medikamente und der Zugang zu frischem Wasser (GbV, Stellungnahme zur Situation tschetschenischer Flüchtlinge in der Russischen Föderation, Juli 2001).
Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass der Klägerin im übrigen Gebiet der Russischen Föderation durch die oben geschilderten Maßnahmen gegenüber tschetschenischen Volkszugehörigen, die sich nicht nur auf das Gebiet Moskaus und weiterer russischer Großstädte beschränkt haben, nicht nur verfolgungsbedingte unzumutbare Nachteile und Gefahren gedroht haben, sondern die Klägerin auch vor dem Einsetzen erneuter politischer Verfolgung in der Russischen Föderation nicht hinreichend sicher war.
3.
Die Klägerin ist bei einer heutigen Rückkehr in die Russische Föderation dort landesweit nicht mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit vor erneuter politischer Verfolgung sicher.
In Tschetschenien selbst hat sich auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt die allgemeine Lage sowie Moskaus Haltung in dieser Frage nicht geändert. Seit vielen Monaten gleichen sich die Nachrichten aus Tschetschenien: Die Guerilla-Kämpfer verüben Attentate gegen russische Soldaten und tschetschenische Kollaborateure, während die Truppen Moskaus militärische Gegenschläge ausführen, zu Verhaftungen schreiten und die Zivilbevölkerung einem strikten Kontrollregime unterwerfen. Problematisch sind vor allem die Kontrollpunkte des Militärs, an denen es immer wieder zu brutalen Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung kommt (BAFL, Informationszentrum Asyl, Russische Föderation - allgem. politische Lage, der Tschetschenien-Konflikt - September 2001; amnesty international, Pressemitteilung vom 24.09.2001: "Säuberungsaktionen in Tschetschenien treffen vor allem Zivilbevölkerung"; Gesellschaft für bedrohte Völker, Pressemitteilung vom 27.09.2001; Die Tageszeitung, 06.08.2001 "Russische Soldaten missbrauchen in Tschetschenien auch Männer, viele Opfer begehen Selbstmord"; Auswärtiges Amt, Lagebericht Russische Föderation vom 28.08.2001).
Auch im übrigen Gebiet der Russischen Föderation außerhalb Tschetschenien und der "Flüchtlingslager" Inguschetiens ist ein hinreichende Verfolgungssicherheit nicht gegeben. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen unter 2. zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden. Wie der dort zitierten Auskunftslage zu entnehmen ist, würden tschetschenische Volkszugehörige ausschließlich in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit nicht nur durch massiv verschärfte administrative Maßnahmen rechtlich und faktisch daran gehindert, innerhalb der Russischen Föderation eine legale Existenz zu erlangen, auch führt das allgemeine, nach wie vor herrschende Klima von Hass und Misstrauen zu immer wiederkehrenden willkürlichen Verhaftungen und Übergriffen.
Nach allem ist die Beklagte verpflichtet, unter Aufhebung des angegriffenen Bescheides die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass hinsichtlich der Klägerin die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezüglich der Russischen Föderation vorliegen (§ 51 Abs. 2 Ziff. 1 AuslG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO iVm § 167 VwGO.
Ende der Entscheidung
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